Bill & Co. lassen ihre Fans im Stich
Am Samstag spielten Tokio Hotel vor 10'000 Fans in
Genf. Der Jubel der Anhänger war riesig, die Zurückhaltung der Stars
ebenfalls.Distanz Sänger Bill und Gitarrist Tom während ihres 90-minütigen Live-Sets – ohne Herzblut und Leidenschaft. (Keystone)Um 19.30 Uhr tönen die ersten Takte durch die Genfer Arena. 10´000 Fans kreischen, als die grossen Hits wie «Schrei» oder «Übers Ende der Welt» erklingen. Tokio Hotel liefern eine professionelle Show – doch das Herzblut fehlt.
Die vier Jungs aus Magdeburg (D) halten Distanz zum Publikum. Kein Abklatschen der tausendfach sehnsüchtig in die Höhe gestreckten Hände. Vor allem Mädchenschwarm Bill scheint nicht genug Entfernung zwischen sich und die Fans bringen zu können. Den grössten Teil des Konzerts singt er auf einer Zwischenbühne hinter dem Schlagzeug.
Das Quartett schaffte, was bisher kaum einer Deutsch singenden Band gelang: Sie eroberten das Ausland. Mit «Schrei» (2005) gelang ihnen als erste deutsche Band der Direkteinstieg in die französischen Top 20. In den USA kletterte die englische Version auf Rang 39 der Billboard-Charts, in Kanada gar auf Platz 6. 60 Millionen Franken haben Tokio Hotel seit ihrem Debüt verdient. Lange belächelt und als vorübergehendes Phänomen abgetan, sind sie zu unerreichbaren Superstars geworden.
Dabei standen Tokio Hotel immer für Echtheit. Sie sind keine gecastete, künstliche Band, haben selber zusammengefunden und spielen alle seit frühester Kindheit ihre Instrumente. In den von der Band meist selber geschriebenen Texten handeln sie alle Teenager-Probleme ab. Von Liebeskummer über Selbstmordgedanken bis zur Scheidung der Eltern.
Das kommt an. Ebenso wie Bills Look. Trotz Häme und Tunten-Sticheleien liess er sich darin nie beirren. Es ist sein Stil: Er liess sich schon mit zwölf Jahren das erste Piercing stechen, kurz darauf folgten die ersten Tattoos. Mit dem Erfolg wurde sein Aussehen extremer, die Haare länger (Sein Stylingtipp: «Täglich eine Dose Haarspray und die Haare nie waschen.»), der Lidstrich dicker, der Nagellack ausgefallener.
«Immer mehr» scheint das Motto der Band geworden zu sein. Nur in einem Punkt nicht: Die Band zum Anfassen sind Tokio Hotel nicht mehr. Sie schotten sich ab. «Sie geben nicht einmal mehr Autogrammstunden oder posieren mit den Fans für Fotos», klagt Andrea (16) aus Olten SO.
Schon Tage vor dem gestrigen Konzert campierten gut hundert Teenager auf dem Gehsteig, damit sie als Erste in die Konzerthalle eingelassen werden. «So was habe ich nicht mehr gesehen, seit Michael Jackson oder Pink Floyd vor zwanzig Jahren hier gastierten», sagt Konzert-Organisator Michael Drieberg.
Doch die Zeiten, in denen es Fanaufläufe gab vor den Hotels, in denen die Jungs übernachteten, sind vorbei. «Sie logieren nun möglichst weit weg von der Konzert-halle, teilweise in anderen Orten, damit sie nicht von uns belästigt werden», klagt Manuela (14) aus Bern. Die Distanzierung von den Fans ist nicht die einzige Konsequenz des Erfolgs: Im März musste sich Bill wegen einer Zyste an den Stimmbändern operieren lassen, die Tour wurde unterbrochen.
Auch Polo Hofer (63) und Marc Dietrich (59) von Peter, Sue & Marc mussten diese Operation machen lassen, nachdem sie ihre Stimme während Jahrzehnten überstrapaziert hatten. Bill ist 40 Jahre jünger.