Lotta, Paula und ihre Freundinnen aus Schweden leben schon seit einer
Woche in der Zeltstadt nahe der Dortmunder Westfalenhalle. Alles nur,
um ihren Idolen von „Tokio Hotel“ heute Abend ganz nah zu sein. (Foto:
Jürgen Peperhowe)
Warten auf Bill Kaulitz - Tokio Hotel spielen in Dortmund
Dortmund. Kofferrollen rattern über das Parkplatz-Pflaster. Die beiden Mädchen, die ihr Gepäck zwischen Zelten und Autos hindurchbugsieren, steuern einen roten Golf älterer Bauart an. Sie wissen genau: Als Neuankömmlinge müssen sie zu Vanessa. Neben deren Wagen warten die Mädchen geduldig auf den Moment, in dem sie sich bei Vanessa anmelden können.
Die 17-Jährige mit dem verrutschten Lidstrich und dem strengen Blick hockt auf dem Beifahrersitz. Auf ihrem Schoß liegt ein zerknitterter Zettel, auf dem sie Geburtsdaten und Nummern notiert. Inzwischen sind es schon an die 400. Jedem Mädchen malt sie eine Zahl auf den Handrücken. Wie eine Platzkarte für die Warteschlange, die sich in der Nacht vor der Westfalenhalle formieren wird.
Seit mehr als einer Woche campieren Jugendliche auf dem Parkplatz, um in der ersten Reihe zu stehen, wenn die Band „Tokio Hotel“ heute Abend ein Konzert gibt. Rund 60 Zelte stehen auf einem Parkplatz abseits des Messezentrums. Flankiert werden sie von drei Toilettenhäuschen, die jemand wohl aus Mitleid dort aufgestellt hat. Denn das Campieren ist nicht erwünscht. Die Fans kümmert das wenig. Sie kommen aus Polen, Portugal, Frankreich und Schweden. Aber auch aus Deutschland.
Elli liegt bäuchlings in ihrem Zelt auf der Bettdecke. Sie sei 18, sagt sie, und komme aus Dortmund. Heute habe sie nur drei Stunden Unterricht gehabt. Jetzt warte sie wieder. So wie jeden Tag seit Beginn der Woche. Warum? „Ich will in die erste Reihe“, erklärt sie. Daran hindert sie auch nicht, dass ihre Eltern über den zeitweilligen Auszug verärgert sind. „Hinterher regt sich meine Mutter schon wieder ab.“
Lydia (14) hat ihren Eltern erst gar nicht erzählt, dass sie den Tag nicht in der Schule in Bielefeld, sondern unter Mit-Fans in Dortmund verbringt. Ihr Dilemma: Ist sie nicht bei den anderen Wartenden, verliert sie ihren Platz in Vanessas System. Gehorcht sie ihren Eltern, die immerhin erlaubt haben, dass sie heute die Schule schwänzen darf, hat sie keine Chance auf Nähe zu ihren Idolen. Um Ausreden ist Lydia nicht verlegen. Auch nicht für den Fall, dass Jugendamtsmitarbeiter erneut über den Parkplatz streifen. „Dann sag ich halt, ich bin Engländerin.“ Ein wenig mulmig sei ihr allerdings schon, gibt sie kleinlaut zu.
Dass die Situation, die sie gerade verantworten, nicht ganz lupenrein ist, können auch Heike (44) aus Arnsberg und Cindy (32) aus Quedlinburg nicht verbergen. Die beiden Mütter und ihre Töchter kauern unter einer Baumreihe und haben sich in Rettungsfolie gehüllt. „Mit der Schule ist das geklärt“, sagt Heike. Tochter Cristina (12) habe sich in der Schule einen Vorsprung erarbeitet, so dass ein Ausfalltag in Ordnung gehe. Dann murmelt sie noch etwas, das nach „Magen- und Darm-Grippe“ klingt.
Unterdessen schreibt Vanessa weiter fleißig Nummern auf Handrücken. Natürlich hat sie auch selbst eine Nummer. Die „1“. Zugleich das Abonnement auf die erste Reihe. So wie bei vielen der 31 Konzerte von Tokio Hotel, die sie schon erlebt hat.
VON VON MICHAELA TÖNS
Source Borkener Zeitung